Überarbeitete Version eines Vortrags vom 17.3.2005 von Barbara Tuczek
Zu diesem Thema ist auch ein Artikel der Autorin in Heft 1/2018 der Hessischen Genealogie erschienen Link zu HG Band 1 in GenWiki
Sterbfallsanzeigen, Inventare und Testamente – Amtsgerichtsakten als Quelle für die Familienforschung
Der Ausgangspunkt der Familienforschung im Archiv ist meist die Recherche in Kirchenbüchern. Hier stoßen die Nachforschungen bereits oft an ihre Grenzen. Teils fehlen Einträge zur gesuchten Person oder das Forschungsinteresse geht über den in den Kirchenbüchern erfassten Datenbestand hinaus. In einem solchen Fall können zumindest für das 19. und frühe 20. Jahrhundert Nachforschungen in Unterlagen der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Amtsgerichte neue Perspektiven eröffnen.
Im folgenden wird vorgestellt, welche Aktengruppen für genealogische Recherchen am ergiebigsten sind und welche Vorgehensweise empfehlenswert ist. Dazu werden zunächst die einzelnen Aktengruppen anhand von Beispielen vorgestellt. Im Anschluss daran wird näher erläutert, wie konkret nach den Unterlagen recherchiert werden kann und welche Besonderheiten zu berücksichtigen sind.
Der Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit der Amtsgerichte umfasst alle Angelegenheiten, die nicht mit Verfahren zusammenhängen, wie Nachlässe, Vormundschaften, Beurkundungen, Errichtung von Verträgen etc. An Unterlagen finden sich hier Testamente, Sterbfallsanzeigen, Inventare und Verträge, die alle für die Familienforschung von Belang sein können. Im Staatsarchiv Darmstadt bestehen in allen Amtsgerichtsbeständen F-Abteilungen (Freiwillige Gerichtsbarkeit). Die Akten des 19. Jahrhunderts über Nachlass, Vormundschaft und Wiederverehelichung sind unter dem Begriff Familienrechtssachen zusammengefasst.
Die beiden wohl ergiebigsten Aktengruppen der freiwilligen Gerichtsbarkeit sind die Familienrechtssachen und die Sterbfallsanzeigen.
Am günstigsten ist es, mit der Recherche nach Sterbfallsanzeigen zu beginnen. Hier finden sich auf kleinem Raum wesentliche Angaben zu einer Person und den hinterlassenen Erben:
Nach dem Ortsgerichtsgesetz waren und sind die Ortsgerichtsvorsteher verpflichtet, einen Sterbefall in ihrer Gemeinde dem zuständigen Amtsgericht noch vor der Beerdigung mitzuteilen. Das Amtsgericht kann dann gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten.
Der Aufbau einer Sterbfallsanzeige ist einheitlich und besteht aus einem vorgedruckten Formular. In der Sterbfallsanzeige wird zunächst der vollständige Name des Verstorbenen mit dem Geburts- und dem Wohnort genannt. Es folgen Angaben über den Beruf. Der Todeszeitpunkt wird sehr genau mit Uhrzeit angegeben. Wenn die Todesursache eine Krankheit war, wird diese oft noch zusätzlich genannt. Das Geburtsdatum wird nicht direkt angegeben, sondern lediglich das Alter, woraus man sich –wenn auch nicht ganz genau- das Geburtsjahr ableiten kann. Aufschlussreich ist auch die Angabe der Namen der überlebenden Ehegatten und in wievielter Ehe beide Partner standen. Hinterlassene Kinder werden namentlich und mit dem Alter aufgeführt. In manchen Ortsgerichten werden bei bereits verheirateten Kindern auch die Ehepartner und ihre jeweiligen Wohnorte genannt. Oftmals ist auch die Auswanderung der Kinder vermerkt. Schließlich werden noch pauschale Angaben zum hinterlassenen Vermögen gemacht, die aber meist nur aus der Formulierung „der Betroffene hinterlässt Vermögen“ o.ä. bestehen.
Wird man bei den gesondert aufbewahrten Sterbfallsanzeigen nicht fündig, empfiehlt sich immer die Recherche in den Familienrechtssachen. Die Sterbfallsanzeigen wurden nämlich in die Nachlassakten übernommen, wenn ein Testament hinterlegt war oder die Erben festgestellt werden mussten. Sie fehlen dann in der Aktengruppe der Sterbfallsanzeigen und sind bei den Familienrechtssachen zu suchen.
Eine wichtige Gruppe der Familienrechtssachen sind die Nachlassakten. Die Akten zum Nachlass werden oft als „Verlassenschaft“ oder einfach mit dem Begriff „Ableben“ betitelt. In diesen Akten befinden sich in der Regel Sterbfallsanzeigen, Testamente und unter Umständen auch noch Eheverträge. In manchen Fällen müssen die Erben einer Person erst ermittelt werden. Dieser Fall ist natürlich für die Familienforschung besonders ergiebig, da mitunter ganze Stammtafeln den Akten beiliegen.
Nahezu alle Unterlagen der Freiwilligen Gerichtsbarkeit enthalten Inventare. Diese Vermögensaufstellungen bieten interessante Einblicke in die Lebensbedingungen der gesuchten Person.
Grundsätzlich wurde das Vermögen aufgenommen, wenn gravierende Veränderungen im Leben einer Person eintraten, also bei einem Todesfall, aber auch wenn eine Person unter Vormundschaft gestellt wurde. Auch wenn eine Person nach dem Ableben des Ehepartners eine neue Ehe einging, wurde das Vermögen aufgenommen, damit festgestellt werden konnte, welcher Anteil den Kindern aus der ersten Ehe zustand. Die Inventarisierung wurde vom Amtsgericht, vom Ortsgericht oder einem speziell bestellten Taxator im Beisein der Erben oder der Vormünder durchgeführt.
In den Inventaren wird nach Mobilien und Immobilien unterschieden. Die Mobilien werden meist noch in verschiedene Kategorien wie Kleidung, Hausrat etc. unterteilt. Es wird jeweils der Wert des einzelnen Stückes angegeben, sodass am Ende der Wert des Gesamtbesitzes zu ermitteln ist. Hier besteht die Möglichkeit, Einkommensvergleiche anzustellen, wenn man Unterlagen verschiedener Personen aus dem gleichen Zeitraum betrachtet.
Als Beispiele für Inventare sollen im folgenden Akten von Personen mit unterschiedlichen sozialen Hintergründen vorgestellt werden, nämlich der Nachlass eines Bauern, eines Militärangehörigen und der eines Professors der katholischen Theologie. Dazu wurden Auszüge aus den Inventaren in Übersichtstabellen übertragen, die im folgenden verglichen werden:
Erstes Beispiel ist der Landwirt Michael Bangert, der 1858 im Alter von 58 Jahren in Rimbach im Odenwald starb (Tabelle 1; Auszug aus G 28 Fürth F 3282/8). Das Inventar führt nur sehr wenige Posten auf, die nur die allernötigsten Besitztümer umfassen. Bangert hatte etwas Bettzeug, an Kleidung besaß er gerade eine Garnitur zum Wechseln. Der Hausrat beschränkt sich neben der einfachsten Einrichtung auf Werkzeug. Sein gesamter mobiler Besitz hatte einen Wert von gerade einmal 24 Gulden. Allerdings besaß er einen Acker im Wert von 487 Gulden.
Im Haushalt des Hauptmanns Schmidt aus Berstadt, der 1845 starb, findet sich schon sehr viel mehr, vor allem bei der Kleidung (Tabelle 2; Auszug aus G 28 Nidda F 3354). Der Unterschied zum Vermögen des Landwirts wird sehr deutlich. Im Gegensatz zu diesem besitzt er silbernes Besteck, sogar eine goldene Uhr. Und gewissermaßen von Berufs wegen verfügt er über einige Landkarten. Sein Vermögen beläuft sich auf 384 Gulden.
Theologieprofessors Löhnis aus Gießen war erkennbar besser eingerichtet als die vorigen beiden Personen (Tabelle 3; Auszug aus G 28 Gießen F 5994). Er besaß Möbel aus Nussbaum und mehrere Repositorien (Bücherregale). Seine Kleidung, Möbel und Hausrat sind vom Gesamtwert her etwa mit dem Besitz des Hauptmanns zu vergleichen. Er verfügte jedoch noch über eine Barschaft von fast 1800 Gulden. Hinzukam eine Bibliothek von über 4000 Bänden, die nochmal dem Wert des Hausrats, also 345 Gulden entsprach, sodass das Gesamtvermögen ca. 2500 Gulden betrug. Alle Buchtitel sind in einem zum Inventar gehörigen Bücherverzeichnis aufgeführt. Dies ist durchaus gängige Praxis und gibt dem Forscher die Möglichkeit, die Geisteswelt einer Person genauer zu ergründen.
Vormundschafts- oder Kuratelakten entstanden, wenn minderjährige Waisen oder Behinderte als Person unter Vormundschaft gestellt wurden, oder auch wenn das Vermögen Abwesender oder verschwenderischer Personen unter Kuratel gestellt wurde.
In diesen Unterlagen finden sich nur wenige Informationen über Verwandtschaft oder genaue Geburtsdaten. Wirklich interessant sind sie, weil sie neben Inventaren meist auch noch Vormundschaftsrechnungen enthalten. Hieraus kann man ersehen, wieviel Einnahmen und Ausgaben im Jahr das Mündel hatte. Durch die nähere Aufschlüsselung der Posten bekommt man einen lebendigen Eindruck der Person. Als Beispiel soll hier die Vormundschaft über Friedrich von Schenck zu Schweinsberg aus Lehrbach im Vogelsberg dienen. Er war taubstumm und sein Vormund war der Major Wilhelm von Schenck zu Schweinsberg, ein Verwandter. In der Vormundschaftsrechnung von 1827 sind die Einnahmen und Ausgaben Friedrichs aufgeführt. Seine Einnahmen setzen sich zusammen aus Bargeld, Kapitalzinsen, Pachtgeld, Fischereinzinsen, Zehnten. Daneben hatte Schenck noch Einkünfte aus verkauften Naturalien wie Federvieh, Früchten und Holz. Die Summe der Einnahmen beläuft sich auf 4814 Gulden. Das ist gemessen an den vorgenannten Inventaren sehr viel. Allerdings sind auch die Ausgaben immens. Diese umfassen neben eigenen Zinszahlungen für geborgtes Kapital, Prozesskosten, Reisekosten, Anwaltskosten, Kosten für Bücher, gekauftes silbernes Besteck. Hinzu kommen Lohn für Näher, verschiedene Stoffe, Schumacher und Boten. Insgesamt belaufen sich die Ausgaben auf 4762 Gulden. Es bleiben also 52 Gulden an tatsächlichen Einkünften übrig. Das ist jedoch noch immer doppelt soviel wie der gesamte mobile Besitz des Landwirts aus Rimbach wert war. Die Vormundschaftsrechnungen wurden jährlich erstellt.
Es existieren auch Fälle, bei denen das Vermögen abwesender Personen unter Kuratel gestellt wird. Dies war etwa dann der Fall, wenn ihnen ein Erbe zufiel, aber ihr Aufenthaltsort nicht ermittelt werden konnte. Zum Beispiel hatte die Witwe des Johannes Herbst aus Altenburg ihren Sohn in ihrem Testament zum Erben ernannt. Sie starb 1845. Zu dieser Zeit befand sich Heinrich Herbst bereits seit 7 Jahren in Amerika. Sein Aufenthaltsort war unbekannt. Daher wurde ein Kurator zur Verwaltung des Erbes ernannt. Heinrich Herbst konnte auch später nicht ermittelt werden. Er wurde 1886 für tot erklärt und mit seinem 90. Lebensjahr wurde die ihm zugefallene Erbschaft unter seine Nichten und Neffen verteilt, die ebenfalls in Amerika lebten. In der Generalvollmacht der Erben finden sich dann wiederum Informationen zu deren Eltern, Geburtsdaten und Geburtsorten.
Ein Sonderfall ist eine Gruppe Akten, die bisher nur vom Amtsgericht Schotten bekannt ist: Für die beim russischen Feldzug 1815 umgekommenen Soldaten bestanden noch Löhnungsguthaben. Zur Auszahlung dieser Löhnungsguthaben entwickelte das Kriegsministerium 1838 ein Verfahren, nach dem die Nachkommen der Soldaten vor dem Amtsgericht nachweisen mussten, dass sie Alleinerben waren. Zu diesem Zweck legten sie den Anträgen Stammtafeln bei.
Insgesamt sind also die Familienrechtssachen eine Recherche in jedem Fall wert. Sie haben den Vorteil, dass alle Akten, die einen Ort betreffen, zusammengefasst sind. Innerhalb der Aktengruppe sind die Unterlagen meist alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben des Familiennamens geordnet.
Leider existiert die Zusammenfassung zu Familienrechtssachen nur bis 1900. Nach der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs legte man die Unterlagen nach Aktenzeichen mit römischen Ziffern ab und hob weitgehend die Gliederung nach Gemeinden auf. Das erschwert die Recherche für die spätere Zeit erheblich. Die Verzeichnung dieser Unterlagen
beschränkt sich auf die Nennung des Aktenzeichens und des Jahrgangs. Ein Aktentitel lautet also beispielsweise „Nachlass VI“, oder auch nur „Aktenzeichen XVI“. Um hier zumindest eine grobe Orientierung über den möglichen Inhalt dieser Akten zu geben, wurde eine Aufstellung erarbeitet, die die möglichen Inhalte auflistet und gleichzeitig über den Quellenwert informiert. Diese Aufstellung findet sich jeweils im Vorwort derjenigen Bestände, die bereits im Internet recherchiert werden können (Internetadresse www.hadis.hessen.de).
Dass hier wichtige Informationen – z.T. auch für die Zeit vor 1900 – enthalten sein können, soll an einem Beispiel vom Amtsgericht Darmstadt verdeutlicht werden:
Oberlandesgerichtsrat Maximilian Scriba starb im Oktober 1904 ohne Hinterlassung direkter Erben. Die Ermittlung der erbberechtigten Personen gestaltete sich sehr schwierig, da alle näheren Verwandten schon gestorben waren. Es wurden umfangreiche Recherchen notwendig. Die unter dem Aktenzeichen VI (Nachlasspflegschaften) angelegte Akte enthält unter anderem mehrere gebundene Bände von Stammtafeln für die verschiedenen Familienzweige, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichen. Für die Genealogie ist dies natürlich ein Glücksfall.
Zusammenfassend lässt sich also folgendes festhalten: Die wichtigsten Aktengruppen für die familiengeschichtliche Recherche sind die Sterbfallsanzeigen und die Familienrechtssachen. In der Zeit nach 1900 kommen neben den weiterhin bestehenden Sterbfallsanzeigen die Nachlassakten der Aktenzeichen IV und VI in Frage.
Im folgenden wird kurz erläutert, wie bei der Recherche am besten vorzugehen ist. Die Recherchedatenbank der hessischen Staatsarchive ist im Internet über die Adresse www.arcinsys.hessen.de aufzurufen. Bei allen 44 Amtsgerichtsbeständen vor 1945 ist die Recherche in der Abteilung der Freiwilligen Gerichtsbarkeit im Internet möglich. Diese Bestände tragen die gemeinsame Signatur G 28, die dann jeweils durch den Ortsnamen des Amtsgerichts ergänzt wird, also z.B. G 28 Darmstadt.
Unter „Einfache Suche“ kann man das Stichwort „Sterbfallsanzeigen“ oder „Familienrechtssachen“ und den gesuchten Ort eingeben und bekommt dann die gesuchten Akten geordnet nach der Trefferzahl angezeigt. Die Recherche nach einzelnen Namen ist in der Regel nicht möglich. Nur bei ganz wenigen Gerichten sind die Akten einzeln nach Familiennamen aufgenommen. Sonst sind sie größtenteils alphabetisch nach den Anfangsbuchstaben der Familiennamen geordnet. In sehr ungünstigen Fällen sind sie nur nach Nummern abgelegt. Hier helfen dann nur noch die Register der Amtsgerichte weiter, die diese zu ihren eigenen Akten geführt haben. Diese Register sind in einem eigenen Bestand zusammengefasst (G 28 A), der ebenfalls in Arcinsys zu recherchieren ist.
Man kann auch über die Hierarchie der Bestände bis zu den Amtsgerichtsbeständen (G 28) navigieren. Die Anzeige des Vorwortes zu einem Bestand erfolgt in der Ansicht „Detailseite“. Hier findet sich die obengenannte Erläuterung zu den Aktengruppen. Außerdem steht dort eine Zuständigkeitsliste: Die Zuständigkeit der Amtsgerichte wechselte im Lauf der Zeit und es ist daher möglich, dass ein Ort in der einen Zeit z.B. zum Amtsgericht Friedberg gehörte, später aber zum Amtsgericht Butzbach. Daher ist in dieser Liste für jeden Ort, der einmal zu dem entsprechenden Amtsgericht gehört hat, aufgeführt, in welchen anderen Amtsgerichtsbeständen noch Unterlagen zu finden sein könnten.
Im Bestand selbst, der über „Navigator“ zu erreichen ist, befindet sich im linken Rahmen die Gliederung. In der Ortsgliederung ist dann korrespondierend zu der Liste im Vorwort aufgeführt, in welcher Zeit ein Ort zum Amtsgericht gehört hat. Für die Zeit nach 1900 besteht nach der Ortsliste eine Gliederung nach Aktenzeichen. Die ausgewählten Akten können im Lesesaal des Staatsarchivs Darmstadt vorbestellt werden und dort zu den
Öffnungszeiten (Montag 9-19:30 Uhr, Dienstag bis Donnerstag 9-17:30 Uhr, Freitag 9-15 Uhr) eingesehen werden. Weitere Informationen finden sich auf der Homepage des Hessischen Landesarchivs unter www.landesarchiv.hessen.de.